Aarauer Party-Demo

Chris war spät dran aber wie immer schaffte er es noch auf den letzten Drücker und sprang in Zug bevor er abfuhr. So kam es, dass wir am frühen Samstagabend am Bahnhof Aarau ankamen und etwas orientierungslos um uns schauten. In Zürich regnete es schon den ganzen Tag aber hier waren die Strassen trocken. Es hat geheissen, die Party würde draussen stattfinden ansonsten wussten wir nicht viel darüber und ich noch weniger als Chris. Am Strassenrand waren Polizisten postiert, soweit das Auge reicht, und ich fragte mich schon, wer wohl in diesem Moment im restlichen Aargau für Recht und Ordnung schaut. Ich war etwas müde vom Arbeitstag und war skeptisch, was mich hier erwarteten wüürde. Wir folgten ein paar Frauen und fanden uns kurze Zeit später auf dem Kanti-Platz wieder, wo Chris mit einem der Veranstalter abgemacht hatte. Auf dem Kiesplatz mischten sich Rastas, Punks und Leute aus der Autonomen Szene mit dem herkömmlichen Partyvolk. Von Musik war nichts zu hören, von einer Bühne nichts zu sehen und unsere Kontaktperson war telefonisch nicht zu erreichen. Wir gingen zum Bahnhof und holten uns vorsorglich je zwei Bierdosen. Zufällig trafen wir vor dem Eingang des Kiosks Blaise, den ehemaligen Bassisten von The Dubby Conquerors, und Jana, die früher mehr Musical-Lieder gesungen hatte, bis sie dann beim Reggae hängengeblieben ist. Ich erfuhr, dass sie heute Abend ebenfalls auftrat.

Wenig später standen wir wieder auf dem Kanti-Platz und hörten nun den Bass, der von der Strasse her zu kommen schien. Es war dunkel geworden und die Menge, die sich mittlerweile angesammelt hatte, setzte sich in Bewegung. Weiter vorne fuhr ein Kleinlaster im Schritttempo und beförderte eine Rap-Crew auf der Ladefläche. Ich hörte mehr als ich sah, weil die Strasse hier schmal und die Bühne seitlich ausgerichtet war. Der Menschenstrom folgte dem Sound und wir waren mittendrin. Blaise sagte, es handle sich hier um eine Art Party-Demo, und ich glaubte mich nun daran zu erinnern das Chris mal was Ähnliches erzählt hat. Wahrscheinlich, dachte ich, könnte die Polizei bei diesen vielen Leuten sowie so nichts ausrichten. Die Gefahr einer Eskalation wäre viel zu gross.
Wir überholten das Soundmobil und sahen schon das nächste. Dichtgedrängt tanzte man dort im Vorwärtsgehen zu Goa. Wir überholten es ebenfalls und hörten schon, wie beim nächsten Soundmobil Reggae-Dancehall-Tunes aufgelegt wurden. Es stellte sich heraus, dass es die Bühne war, auf der wir auftreten sollten. Überall roch es nach Joints und ich bereute, nichts mitgenommen zu haben.
Der Typ vom Soundmobil, sagte wir wären um 10Uhr dran. Die  Karawane bog rechts ab und schlängelte sich nun durch die kopfsteingepflasterten Gassen der Aarauer Altstadt. Der Sound war hier extrem laut und schlug von den Mauern und Schaufenstern zurück, was mich dazu nötigte, ein Stück Papiertaschentuch abzureissen und zusammengeknüllt in meine Ohren zu stopfen. Ich nahm die improvisierten Papierstöpsel aber schon bald wieder heraus, weil es meine Unterhaltung mit Collie Herb erschwerte. Als wir angekündigt wurden, kletterten wir auf den Kleinlaster, dessen Hebebühne die Bühne darstellte (Endlich einmal wurde die Hebebühne ihrem Namen gerecht). Ich sah nichts wo ich meine halbvolle Dose hinstellen konnte und behielt sie deshalb in der Hand und nahm das Mikrofon in die Andere. Chris stand dicht neben mir, den es gab nicht viel Platz. Beim Auftritt von Jana vorhin gab es technische Probleme, so dass ihr Instrumental-Track nicht lief und sie so ihre Stimme in einem Acapella unter Beweis stellen konnte. Ich rechnete schon mit ähnlichen Komplikationen aber bei uns lief zum Glück technikmässig alles tip top. Und auch unsere Show hatte die Power, die es brauchte. Die Leute waren mit uns, tanzten und ich hörte sogar eine, die den ganzen Refrain mitsang. Mit der Bierdose in der Hand war meine Interaktion mit dem Publikum zwar etwas eingeschränkt doch ich tat was ich konnte. Wir brachten die Tracks: Gluet, Wo Wämmer Ane, d’Welt. Was wahrscheinlich keine schlechte Wahl war. Der Kleinlaster stand einen Weil an Ort und Stelle und setzte sich dann mitten im Song ruckartig wieder in Bewegung, so dass ich für einen Moment das Gleichgewicht verlor und um ein Haar von der Hebebühne fiel. Letzlich ist aber alles nochmal gut gegangen und als ich wenig später vom Kleinlaster kletterte war ich zufrieden mit uns.
Nun wollten wir uns erst einmal ein Bier holen aber als wir beim Wagen mit den Getränken standen merkten Chris und ich, dass wir kein Geld dabei hatten. Dank Chris Überredungskünsten bekamen wir aber trotzdem zwei Dosen. Das Bier war aber ziemlich übel und somit etwa so viel Wert was wir bezahlt hatten. Beim Soundmobil, auf dem wir vorhin aufgetreten waren, wurde unterdessen Dubstep aufgelegt, wir bewegten uns dazu und waren überrascht, wie gut der abgehackte Sound zur Atmosphäre passte. Aus dem Fenstern lehnten die Anwohner und schauten amüsiert auf die tanzende Menge unter ihnen. Alle paar Meter zeigte die Polizei Präsenz und  filmte fleissig, was einige, vor allem die vermummten, dazu provozierte, etwas zu rufen oder den Mittelfinger in die Kamera zu strecken. Unter den Helfern glaubte ich nun eine gewisse Anspannung wahrzunehmen, den sie versuchen nun auf einmal mit allen Mitteln, den Bereich zwischen den Soundmobilen freizuhalten. Beim Kreisel verstand ich, was es damit auf sich hatte, denn die Soundmobile gaben nun ordentlich Gas und fuhren gerade aus, anstatt nach links unter den Bahngleisen hindurch, wie es die Polizei anscheinend vorgesehen hatte. Die Leute rannten hinterher und johlten. Wenige Minuten später verschwanden die Kleinlaster in einer ehemaligen Fabrikhalle mit zerbrochenen Fensterscheiben. Hier sollte die Party also weitergehen. Der Boden war hier nass und die Soundmobile hatten sich bereits positioniert und waren dabei den Leuten einzuheizen. Im Getümmel hatte ich Chris verloren und schrieb ihm nun eine SMS mit dem Inhalt, „wo du?“ Er antwortete kurz darauf mit, „In der Halle“,  was mir nicht wirklich weiterhalf aber als ich vom Handy aufschaute, stand er schon vor mir. Vor dem Getränkewagen, bracht ich das Kunststück fertig, meine Portemonnaie auf den schlammigen Boden fallen zu lassen und beim anschliessenden Schluck aus der Dose die ganze Vorderseite meines Hemdes Bier vollzuschütten. Wir feierten bis uns die Hektik der Musik zu viel wurde und gingen Richtung Bahnhof. Obwohl es schon  kurz vor zwei Uhr war, fuhr noch ein regulärer Intercity. Ich philosophierte mit Chris über Frauen, Beziehungen und über die Freiheit, hin und wieder ein bisschen zu Flirten. Schon waren wir wieder in unserer Heimatstadt und gingen noch gemeinsam bis zur Langstrasse, wo sich unsere Wege trennten. Als mir ein Arbeitskollege zwei Tage später berichtete, er habe aus dem Taxi heraus gesehen wie ich ziemlich Schlagseite gehabt hätte, war ich nicht verwundert.

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